Einer im Inland ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Krankenschein) kommt im Rahmen der richterlichen Beweiswürdigung regelmäßig ein hoher Beweiswert zu (BAG – 5 AZR 176/02). Demnach besteht eine tatsächliche Vermutung, dass der Arbeitnehmer infolge Krankheit arbeitsunfähig war (BAG – 5 AZR 312/91). Aber: Dieser Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann durch Tatsachen, die der Arbeitgeber vortragen muss, erschüttert werden. Dann wiederum ist es Sache des Arbeitnehmers die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen (zu beweisen). Der Arbeitgeber kann vortragen, dass der Arbeitnehmer nicht arbeitsunfähig war und sogar noch nicht einmal krank gewesen ist. Rückwirkend bescheinigte Arbeitsunfähigkeit ist regelmäßig ein Angriffspunkt gegen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Das gilt auch, wenn der Ausstellung gar keine Untersuchung vorausgegangen ist. Erst vor kurzem hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) über den Fall einer sogenannten „passgenauen„ Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entscheiden müssen. Der Arbeitnehmer hatte sein Arbeitsverhältnis gekündigt und erkrankte just an diesem Tag. Noch dazu entsprach die prognostizierte Dauer der Krankschreibung exakt der Kündigungsfrist. Der Arbeitgeber hatte wegen dieser Umstände die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle abgelehnt. Daraufhin hat der Arbeitnehmer Zahlungsklage erhoben und diese sowohl am Arbeitsgericht als auch in der 2. Instanz am Landesarbeitsgericht gewonnen. Der Fall kommt aus Niedersachsen. Das BAG aber (Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21) hat das anders gesehen. Zwar hätte der Arbeitnehmer seinen behandelnden Arzt von der Schweigepflicht entbinden und diesen als Zeugen vernehmen lassen können, was er aber nicht wollte und weswegen er für seine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit beweislos geblieben ist. Ganz so einfach mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Arbeit fern bleiben zu können, geht es also eben dann doch nicht.
Mitgeteilt durch Rechtsanwalt Alexander Diehl, Fachanwalt für Arbeitsrecht