Gibt es da einen Unterschied? Die Antwort lautet ja. Das Pflichtteilsrecht der Abkömmlinge,
der Eltern und der Ehegatten des Erblassers (§§ 2303, 2309 BGB) steht diesen bereits noch zu
Lebzeiten des Erblassers zu. Also schon zu Lebzeiten des Erblassers besteht ein
Rechtsverhältnis zwischen ihm und den Pflichtteilsberechtigten, in das dann mit dem Erbfall
die Erben des Erblassers eintreten. Über den Sinn des Pflichtteilsrechtes wird politisch immer
wieder einmal diskutiert. Seine Legitimation ist nämlich nicht unumstritten. Gerechtfertigt wird es mit solchen Begriffen wie „familiäre Solidarität und Verantwortung“, „dem Versorgungsgedanken“, der „beabsichtigten Vermögensverteilung anstatt der Vermögenskonzentration“ und mit einer „Missbrauchsprävention“ (das Testament eines Erblassers allein zugunsten seiner dreißig Jahre jüngeren Geliebten). Ob das in die heutigen Formen des Zusammenlebens noch hineinpasst, kann hier unbeantwortet bleiben. Wichtig in diesem Zusammenhang aber ist: der unverheiratete Lebensgefährte, mit dem auch keine eingetragene Partnerschaft besteht, ist nicht (!) pflichtteilsberechtigt (und im Übrigen natürlich auch kein gesetzlicher Erbe).
Dass auch Eltern pflichtteilsberechtigt sind, hatte jetzt erst wieder der Bundesgerichtshof auf
dem Tisch (Beschluss vom 07.11.2018 – IV ZR 189/17). Die Tochter der Eltern war kinderlos
verstorben und hatte ihren Lebensgefährten per Testament als Alleinerben eingesetzt. Die Tochter hatte zuvor von ihren Eltern Grundstücke und Bankguthaben übertragen bekommen. Zusammen mit ihrem Lebensgefährten hatte sie ein Transportunternehmen aufgebaut. Noch vor ihrem Tod hatte sich die Tochter mit ihren Eltern in Verbindung gesetzt, um mit diesen einen Pflichtteilsverzichtsvertrag zu vereinbaren, der – warum auch immer – jedoch nicht zustande kam. Hieran wird der Unterschied zwischen Pflichtteilsrecht und
Pflichtteilsanspruch noch einmal beispielhaft sehr deutlich. Vor Gericht ging es schließlich darum, ob die Eltern auf irgendeine andere Art und Weise nach dem Tod ihrer Tochter – weil der Pflichtteilsanspruch inzwischen entstanden war – auf ihre Ansprüche gegenüber dem Lebensgefährten verzichtet hatten (Erlassvertrag).
Ist der Erbfall eingetreten (hiervon erlangt das Nachlassgericht durch eine Mitteilung des jeweiligen Standesamtes automatisch Kenntnis), werden die testamentarischen Erben vom Nachlassgericht angeschrieben (aber nur wenn das eigenhändige, handschriftliche Testament hinterlegt worden ist oder aber ein notarielles Testament errichtet worden war). Sonst ist das Nachlassgericht darauf angewiesen, dass ein aufgefundenes Testament abgeliefert wird, wozu jedermann verpflichtet ist (§ 2259 BGB). Entweder aus dem Testament ergeben sich bereits die ausgeschlossenen pflichtteilsberechtigten Erben oder aber der testamentarische Erbe liefert auf Nachfrage des Nachlassgerichts die fehlenden Angaben hierzu ab. Dann werden auch die durch das Testament ausgeschlossenen pflichtteilsberechtigten Erben vom Nachlassgericht
unterrichtet. Sie erhalten eine Kopie des eröffneten Testaments und zwar in aller Regel mit
der Frage, ob es gegen die Wirksamkeit des Testaments Einwände gibt und mit dem Hinweis,
dass Pflichtteilsansprüche geltend gemacht werden können, wozu eine Belehrung mittels gesondertem Merkblatt erfolgt. In der Regel ab Zugang dieser Mitteilung des Nachlassgerichts beginnt die Kenntnis vom Pflichtteilsanspruch. Das ist wichtig. Denn der Pflichtteilsanspruch verjährt innerhalb von drei Jahren ab dieser Kenntnis, jedoch nach der sogenannten Jahresendverjährung. Diese beginnt mit Ablauf des 31.12. des jeweiligen Jahres, um 24:00 Uhr.
Die Kenntnis von dem Pflichtteilsanspruch hat auch sehr praktische Bedeutung. Ich hatte einen Fall vor dem Landgericht Zwickau zu verhandeln. Dort hatten sich die Eltern zunächst gegenseitig als Alleinerben eingesetzt und als Schlusserben ihre beiden Enkeltöchter bestimmt. Die Tochter sollte nichts bekommen. Das Testament hatten die Eltern handschriftlich angefertigt. Nach dem Todesfall des Erstversterbenden hat der überlebende Ehegatte dieses Testament nicht am Nachlassgericht abgeliefert. Dort ging es erst ein, als es die Enkeltöchter auch nach dem 2. Todesfall des nachverstorbenen Ehegatten abgeliefert hatten. Dementsprechend konnte die enterbte Tochter auch noch nach Jahren selbst nach dem 1. Todesfall noch Pflichtteilsansprüche geltend machen.
Und wie hoch ist nun der Pflichtteilsanspruch? Bei der Berechnung der Pflichtteilsquote
müssen Sie so tun, als würde es das Testament nicht geben und am besten anhand eines Erbspiegels ermitteln, was Sie als gesetzlicher Erbe geerbt haben würden. Die auf diese Art und Weise ermittelte fiktive gesetzliche Erbquote müssen Sie durch 2 teilen, weil der Pflichtteil in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils besteht (§ 2303 Abs. 1 S. 2 BGB). Sodann müssen Sie die gesamte Nachlassmasse am Todestag wertmäßig
zusammenstellen. Hierfür haben Sie Auskunftsansprüche gegenüber den testamentarischen Erben. Davon müssen die Nachlassverbindlichkeiten (die Schulden des Erblassers und die Todesfallkosten) abgezogen werden, sodass sich der Rein-/Nettonachlass ergibt. Von diesem können Sie ihre Pflichtteilsquote – jedoch ausschließlich in Geld – verlangen. Negativ kann der Pflichtteilsanspruch nie werden. Deswegen muss der Pflichtteilsberechtigte keine Angst haben, für Schulden etwa mit haften zu müssen.
Zusätzlich zu diesem Pflichtteil gibt es den Pflichtteilsergänzungsanspruch wegen
Schenkungen (§ 2325 BGB). Hierbei wird so verfahren, dass der vom Erblasser an einen Dritten verschenkte Gegenstand als noch immer im Nachlass vorhanden behandelt wird. Mit jedem Jahr der Schenkung, das ab dem Todeszeitpunkt mehr vergangen ist, wird der Wert abgeschmolzen (jeweils um 1/10 pro Jahr), sodass Schenkungen, die länger als 10 Jahre zurückliegen, unberücksichtigt bleiben, wenn sie nicht an den Ehegatten erfolgt sind (§ 2395 Abs. 3 BGB). Unlängst hatte ich einen Fall, in dem auch der von mir vertretene
Pflichtteilsberechtigte zu Lebzeiten selbst Schenkungen erhalten hatte. Das war in diesem Falle leider nachteilig. Zwar werden auch diese Schenkungen allen übrigen Schenkungen an Dritte hinzugerechnet, aber der Pflichtteilsberechtigte muss sich auf seinen Pflichtteilsergänzungsanspruch die Eigengeschenke in voller Höhe anrechnen lassen. Leider nachteilig ist die Anrechnung dieser Eigengeschenke weil die Zehnjahresfrist und die Abschmelzung nach absolut herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur nicht (!) gelten. Ein Erblasser hat es also gestalterisch selbst zu Lebzeiten in der Hand, den
Pflichtteilsergänzungsanspruch durch lebzeitige Schenkungen an den Pflichtteilsberechtigten
kaputt zu machen, z.B. um Schenkungen an andere Kinder damit (und sei es auch nur
teilweise) vor Ergänzungsansprüchen zu schützen. Dafür braucht es noch nicht einmal eine
Festlegung/ Bestimmung des schenkenden Erblassers, dass das so sein soll.
Weil es im Pflichtteilsrecht im Besonderen (z.B. im Falle von Beschränkungen und
Beschwerungen oder aber bei der gleichzeitigen Zuwendung eines Vermächtnisses) aber auch im Erbrecht im Allgemeinen noch mannigfache Fallgestaltungen gibt, ist eine Beratung immer empfehlenswert. Diese kann ich Ihnen schon an dieser Stelle gerne anbieten. Sie kostet oft nicht mehr als anfänglich 90,00 €. Seit einiger Zeit sind auch Rechtsschutzversicherungen auf dem Markt, die nicht nur den Beratungsrechtsschutz bieten, sondern je nach Vereinbarung auch Bearbeitungspauschalen von 500,00 € oder 1.000,00 € übernehmen.
Mitgeteilt durch
A. Diehl
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht
zertifizierter Testamentsvollstrecker
zertifizierter Nachlasspfleger
aus der Kanzlei
Diehl & Pape – Rechtsanwälte
Werdau und Zwickau