Die Erben – und wo sie überall versteckt sein können

Das ist ein realer Fall. Deshalb muss ich ihn sehr allgemein schildern. Er soll aber helfen, den Blick für das Erbrecht zu schärfen.

Ein Ehepaar hat 2 Kinder. Es setzt sich – wie so oft – in einem handschriftlichen Testament gegenseitig zu Alleinerben ein, sodass der überlebende Ehegatte zunächst den verstorbenen Ehegatten vollständig und allein beerbt (was zugunsten der dadurch enterbten Kinder zwar Pflichtteilsansprüche auslöst, hier aber nicht behandelt werden soll).

Außerdem legen sie abschließend fest, dass ihre beiden Kinder zu gleichen Teilen erben sollen, wenn der überlebende Ehegatte nachverstirbt (Schlusserbeneinsetzung). Ersatz-Schlusserben bestimmen sie ausdrücklich nicht. Sie legen auch nicht fest, dass der überlebende Ehegatte von der Schlusserbenregelung abweichen darf, falls er zu Lebzeiten hierfür ein Erfordernis sieht (für diesen Fall ist die Schlusserbenregelung wechselbezüglich getroffen und kann sobald der erste Ehegatte verstorben ist vom überlebenden Ehegatten allein nicht mehr geändert werden).

Der Sohn des Ehepaares verstirbt, nachdem das Testament errichtet worden war, aber noch zu Lebzeiten seiner beiden Eltern. Gleichwohl ändern diese ihr gemeinschaftliches Testament nicht (was sie beide zusammen hätten aber tun können; auf nähere Einzelheiten hierzu will ich ebenfalls nicht eingehen).
Als Witwer überträgt der Vater seiner Tochter aus Bauspar- und Lebensversicherungsverträgen die dort möglichen Bezugsrechte. Diese führen regelmäßig zu einem Erwerb der damit verbundenen Forderungen außerhalb (!) des Erbrechts. Außerdem wünscht er sich, dass sein Hausgrundstück, zu dem er nach dem Tod seiner Ehefrau als alleiniger Eigentümer im Grundbuch steht, von seiner
Tochter fortgeführt wird und in jedem Falle der Familie erhalten bleibt.

Nachdem auch ihr Vater verstirbt, begibt sich die Tochter zum Nachlassgericht und beantragt einen Erbschein (den sie wegen des nur handschriftlichen Testaments zur Umschreibung des Eigentums am Grundstück im Grundbuch benötigt) auf sich allein. Das Nachlassgericht widerspricht diesem Wunsch und die Tochter braucht Rat. Denn ihr verstorbener Bruder hat 3 Kinder, die allesamt weit weg wohnen. Sind
diese jetzt auf einmal Miterben, obwohl doch ihr Vater noch vor seinen Eltern verstorben ist und diese also als einziges Kind nur noch ihre Tochter hatten?

Ja, sagt das Gesetz und zwar über die Auslegungsregel des § 2068 BGB: Hat der Erblasser (hier: die beiden Eltern) eines seiner Kinder bedacht und fällt dieses Kind nach der Errichtung des Testaments mit Hinterlassung von Abkömmlingen weg (Todesfall des Kindes), so ist im Zweifel (!) anzunehmen, dass die Abkömmlinge
(also die Kinder des verstorbenen Kindes) insoweit bedacht sind, als sie bei der gesetzlichen Erbfolge an die Stelle des Kindes treten würden.

Umstände, die diese Zweifel an der Vermutungsregelung des Gesetzes hätten ausräumen können gibt es nicht. Das hat in der vorliegenden Sache zur Folge, dass auf einmal eine Erbengemeinschaft aus der Tochter und ihren 3 Nichten bzw. Neffen besteht, die auch das Grundstück betrifft. Wenn die Tochter jetzt die Nichten und Neffen nicht auszahlen kann muss das Grundstück der Eltern verkauft werden, sodass dem ausdrücklichen Wunsch insbesondere des längerlebenden Vaters dadurch gerade nicht entsprochen werden würde. Weil die Tochter auch noch vor Ort wohnt ist sie ihren Nichten und Neffen umfangreich zu Auskünften verpflichtet und muss wegen der Betreuung ihres Vaters diesen gegenüber auch noch Rechenschaft ablegen.

Alles in allem ist das – für die Tochter jedenfalls – eine bedauerliche Situation, die sich jedoch hätte vermeiden lassen können. Ich rate deswegen auch weiterhin unverändert dazu, sich zu den infrage kommenden Gestaltungsmöglichkeiten schon zu Lebzeiten beraten zu lassen.


Mitgeteilt durch Rechtsanwalt Alexander Diehl, Fachanwalt für Erbrecht, zertifizierter
Nachlassverwalter und